Nachfolgend finden Sie kurze inhaltliche und formale Einführungen in alle für die vorliegende Quellensammlung herangezogenen Reise- und Korrespondentenberichte. Sie sind jeweils ergänzt durch einschlägige Literaturhinweise.
In seinem Reisebericht Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799 (1803/04) beschreibt Ernst Moritz Arndt (1769–1860) eine zweijährige Bildungsreise, die er durch halb Mitteleuropa unternommen hatte. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf seinen Aufenthalt im sommerlichen Paris 1799. Er widmet sich dort vorrangig dem öffentlichen urbanen Leben sowie der postrevolutionären gesellschaftlichen Struktur, denen er an verschiedenen Schauplätzen und in Form diverser Praktiken begegnet. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang sein Blick auf die französische Lebenskultur in Paris: Der spätere antinapoleonische Agitator und Franzosenhasser Arndt hebt gerade die in seinen Augen positiven Aspekte des französischen Nationalcharakters heraus. Vor allem Geselligkeit und Urbanität sind Stichworte, die er wiederholt lobend erwähnt und die seinen späteren Ansichten diametral gegenüberstehen. Für die Perspektive urbaner Muße sind indes nicht nur diese nationalen Gesichtspunkte von höchstem Interesse, sondern vor allem Arndts Darstellungen verschiedener öffentlicher Grün- und Vergnügungsanlagen sowie der Boulevards, der besonders prominenten Pariser Promenaden um 1800.
Textgrundlage: Ernst Moritz Arndt, Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799, Bd. 3/4, Leipzig 1804.
Ludwig Börnes (1786–1837) Schilderungen aus Paris (1822–1824), nicht zu verwechseln mit seinen Briefen aus Paris (1830–1833), zeichnen ein Bild der französischen Hauptstadt, die durch eine besonders ausgeprägte Urbanität besticht. Paris als, wie Börne es selbst formuliert, „Telegraph der Vergangenheit, das Mikroskop der Gegenwart und das Fernrohr der Zukunft“ (Börne, Schilderungen aus Paris, 16) stilisiert der Autor zu einem Beobachtungsgegenstand, dem er mittels eines bewusst gewählten Wahrnehmungsmusters beikommen will. In einem weit über die Schilderungen hinaus berühmt gewordenen Abschnitt charakterisiert er die Metropole als ein lesbares Buch, in dem die Beobachterinnen und Beobachter nach eigenem Belieben blättern und sich den einzelnen urbanen Seiten widmen können. Börne formuliert hier exemplarisch das flanierende Wahrnehmungsmodell: Zufällige und kontingente Eindrücke werden durch eine Beobachterfigur registriert, die von den zweckrationalen Zwängen der urbanen Lebenskultur entbunden ist.
Textgrundlage: Ludwig Börne, „Schilderungen aus Paris“, in: Sämtliche Schriften, Bd. 2, hg. v. Inge Rippmann/Peter Rippmann, Düsseldorf 1964, 1–190.
Im Jahr 1804 unternahm der erfolgreiche deutsche Bühnenautor August von Kotzebue (1761–1819) seine bereits dritte Reise nach Paris und verfasste daraufhin den Bericht Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804 (1804). In die Hauptstadt Frankreichs fuhr er nach dem Tod seiner dritten Ehefrau Christiane Gertrud von Krusenstern (1769–1803) und wohl mit der wesentlichen Absicht, Napoleon Bonaparte (1769–1821) persönlich kennenzulernen. Dessen bei einem persönlichen Treffen für Kotzebue enttäuschende Präsenz findet in der Reisedarstellung ebenso Eingang wie eine thematisch vielfältige Beobachtung der urbanen Lebensverhältnisse. Auf rund 600 Seiten stellt er nicht nur die kulinarische Vielfalt der Metropole und die dortige Kunstwelt dar, sondern widmet sich unter anderem auch den ‚Straßen von Paris, in vier Briefen an eine Dame geschildert‘. In diesem für Formen urbaner Muße einschlägigen Abschnitt widmet er sich den kleinen und großen Schauspielen des öffentlichen Lebens und lässt dabei die französische Hauptstadt wie eine urbane Theaterbühne wirken.
Textgrundlage: August von Kotzebue, Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804, 2., unver. Aufl., Berlin 1804.
Mit der durch den Weimarer Verleger und Unternehmer Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) herausgegebenen Zeitschrift London und Paris (1798–1815, unter verschiedenen Titeln) liegt eines der bedeutendsten Zeugnisse deutscher Großstadtliteratur um 1800 vor. Über fast zwanzig Jahre hinweg berichteten Korrespondentinnen und Korrespondenten aus den zeitgenössisch wichtigsten und mit Abstand bevölkerungsreichsten europäischen Metropolen und versorgten das deutsche Lesepublikum mit den neuesten Informationen aus den beiden Großstädten. In den Städten selbst lebende Beobachterinnen und Beobachter wie Johann Christian Hüttner (1766–1847, London) oder Friedrich Theophil Winckler (1771–1807, Paris) sorgten neben anderen Autorinnen und Autoren für eine äußerst vielfältige und breit angelegte Berichterstattung. Während die Zeitschrift einerseits einen Schwerpunkt auf die Publikation und Kommentierung zeitgenössischer Karikaturen aus London und Paris legte, widmeten sich die Berichterstatterinnen und Berichterstatter andererseits ausführlich den urbanen Lebensformen. Als weitestgehend nicht an den funktionalen städtischen Abläufen beteiligte Beobachterinnen und Beobachter nahmen sie die alltäglichen Gegebenheiten des gesellschaftlichen Lebens ebenso in den Blick wie verschiedene urbane Versammlungs- und Rückzugsorte oder auch die topisch belebten ‚Hotspots‘ in den Großstädten. Ihre Darstellungen orientierten sie zudem häufig an nationalen Wahrnehmungsmustern, sodass in der Zeitschrift die Verbindung nationalstereotyper Beobachtungen und urbaner Lebensformen besonders heraussticht.
In ihren letzten Jahren berichtete die Zeitschrift aufgrund der napoleonischen Kontinentalsperre und der damit verbundenen problematischen Kommunikationssituation mit London auch über eine dritte Großstadt: Wien. Für die österreichische Hauptstadt sticht aus den Korrespondentenberichten besonders die Darstellung öffentlicher Versammlungsorte wie des Praters oder des Augartens hervor.
Textgrundlage: Friedrich Justin Bertuch u.a. (Hg.), London und Paris, 30 Bde., Halle/Rudolstadt/Weimar 1798–1815.
Gegenüber den anderen untersuchten Texten aus London und Paris unterscheiden sich Hermann Fürst von Pückler-Muskaus (1785–1871) Briefe eines Verstorbenen (1830/31) nicht nur durch ihre spätere Entstehung. Nachdem sich der Adlige insbesondere durch seine landschaftsplanerischen Vorhaben finanziell übernommen und verschuldet hatte, unternahm er zwischen 1825 und 1829 eine Reise nach England, um dort nach einer vermögenden Braut zu suchen. Eigens ließ er sich zum Schein von seiner bisherigen Ehefrau Lucie von Hardenberg (1776–1854) scheiden, der er aber mit den Briefen ausführlich von seinem Aufenthalt auf der britischen Insel berichtete. Nicht zuletzt durch die Mithilfe Karl August Varnhagen von Enses (1785–1858) entstand ein zeitgenössischer literarischer ‚Bestseller‘, der unter anderem eine lobende Rezension Johann Wolfgang Goethes (1749–1832) erhielt – und schließlich sogar internationale Übersetzungen in mehrere Sprachen erfuhr.
In seinem Reisebericht widmet Pückler sich indes weniger seiner letztlich erfolglosen Brautschau, sondern vielmehr den eigenen Erfahrungen, die zwischen metropolitanem Leben und ländlicher Idylle oszillieren. Aus einer dezidiert aristokratischen Perspektive skizziert er einen Londoner Aufenthalt, der sich durch eine ausgeprägte Spannung von Muße und Müßiggang auszeichnet. Von besonderer Bedeutung ist dabei seine Darstellung des adligen Lebens, innerhalb derer er einen forcierten Schwerpunkt auf die dortige Fest- und Feierkultur legt.
Textgrundlage: Hermann Fürst von Pückler-Muskau, Briefe eines Verstorbenen, hg. v. Heinz Ohff, Berlin 1986.
Mit Georg Friedrich Rebmann (1768–1824) reiste in den Jahren 1796 und 1797 ein Schriftsteller nach Paris, der sich insbesondere für die Auswirkungen der Französischen Revolution interessierte. Nachdem er unter den Vorzeichen der Jakobinerdiktatur eine Rede Robespierres gegen den Krieg übersetzt hatte, begann für ihn eine Odyssee, die ihn schließlich über die Niederlande bis nach Paris, ins revolutionäre Epizentrum, führte. Aus seiner Reise resultierten zwei literarische Zeugnisse: zum einen Holland und Frankreich, in Briefen geschrieben (1797/98) – eine Korrespondenz mit seinem Altonaer Demokratenfreund Johann Friedrich Albrecht (1752–1814) –, zum anderen seine Zeichnungen zu einem Gemälde des jetzigen Zustandes von Paris (1797/98). Während beide Texte einerseits Rebmanns Enttäuschung über die postrevolutionären Zustände formulieren, zeichnen sie sich ebenso durch eine Engführung von politischen Beobachtungen und Wahrnehmungen urbaner Lebensformen aus. Die beiden Aspekte verschränken sich in den Darstellungen unauflöslich ineinander und finden ihren literarischen Ausdruck nicht zuletzt in diversen Spaziergängen, die Rebmann durch Paris unternimmt. Formal orientiert er sich dabei – der Titel Zeichnungen zu einem Gemälde deutet es bereits an – an Merciers Tableau de Paris, weist aber im Sinne dynamisierter Erzählformen auch über dessen vergleichsweise statischen Beschreibungstechniken hinaus.
Textgrundlage: Georg Friedrich Rebmann, „Holland und Frankreich, in Briefen geschrieben auf einer Reise von der Niederelbe nach Paris im Jahr 1796 und dem fünften der französischen Republik“, in: Werke und Briefe, Bd. 2, hg. v. Wolfgang Ritschel, Berlin 1990, 169–385.
Georg Friedrich Rebmann, „Zeichnungen zu einem Gemälde des jetzigen Zustandes von Paris“, in: Werke und Briefe, Bd. 2, hg. v. Wolfgang Ritschel, Berlin 1990, 387-442.
Textgrundlage für Johann Wolfgang Goethes (1749–1832) Darstellung italienischer Städte ist die Italienische Reise, also ein Spätwerk des Dichters. Die Reise nach Italien hatte Goethe in den Jahren 1786 bis 1788 unternommen. Das zeitgenössische Reise-Tagebuch für Frau von Stein bricht mit Goethes Eintreffen in Rom ab. Die Textauswahl für die Homepage beschränkt sich daher auch auf Auszüge aus der Italienischen Reise, die alle relevanten Städteschilderungen beinhaltet: Venedig, Rom, Neapel, Palermo. Ein Textbeispiel aus Padua ergänzt die Reihe der literarischen Stadtansichten. Den Titel Italienische Reise hat das Werk erst 1829, in der Ausgabe letzter Hand, erhalten. Hier ist auch der Zweite Römische Aufenthalt integriert. Im Erstdruck von 1816/17 bildet das entsprechende Textkonvolut die beiden ersten Teile der zweiten Abteilung des autobiographischen Gesamtwerks Aus meinem Leben, dessen erste Abteilung mit Dichtung und Wahrheit überschrieben ist. Im Unterschied zu Dichtung und Wahrheit hat Goethe die Italienische Reise im Präsens geschrieben, um den Schein des unmittelbaren Erlebens zu wahren bzw. zu erwecken.
Textgrundlage: Goethe, Johann Wolfgang, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, Frankfurter Ausgabe (FA), hg. v. Hendrik Birus u.a. I. Abteilung, Bd. 15/1 und 15/2: Italienische Reise, hg. v. Christoph Michel u. Hans-Georg Dewitz (DKV – Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 48), Frankfurt a.M. 1993.