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Quellensammlung

Rückzugsräume – Heterotopien der Muße

Arndt: Botanischer Garten

„Neben dem kleinen Thiergarten der friedlichern Thiere hat sich nun das Thier, welches das friedlichste von allen seyn sollte, auch seine Menagerie angelegt. Es sind nemlich ein Paar für diese Gegend ganz nette Kaffehäuser gebaut, mit einer Menge Stühle und Bänke draussen im Freien unter den Bäumen, wo es an guten Tagen immer von Menschen wimmelt. Denn der schöne Garten dient neben seinem Gebrauch für den Naturforscher dieser ganzen vom lebendigsten Paris so abgelegenen Gegend zu einem lustigen Spaziergange. Von hier rechts beginnen nun in mehreren großen, schön eingefaßten und mit Linden, Ulmen und Platanen umpflanzten Quadraten die feineren Pflanzen, Blumen und Gräser. In einigen der Abtheilungen sind große Wasserbecken, die mit fremden Wasservögeln besetzt, und mit Gesträuch umkränzt sind, wo sie der Freude des Kindermachens obliegen können. Zur Seite laufen statt der Staketen der übrigen Seiten des Gartens, mehrere große Treibhäuser hin, für die man auch neue Acquisitionen gemacht hat. Am Ende des Gartens, der Seinepforte gegenüber, ist wieder ein Ausgang in die Stadt, und dieser führt auf ein stattliches Gebäude, das man mit dem Beinamen, Museum der Naturgeschichte, beehrt.“

„Auf dieser Höhe prangt ein kleiner chinesischer Regenschirmthurm, von dem man nächst der Kuppel des erhabenen Pantheon und dem Telegraphenthurm des Montmartre die schönste und reitzendste Aussicht über die Stadt hat. Wie oft habe ich den sinkenden Abend hier erwartet, einsam und selig in der getümmelvollen Stadt, deren Lärm aber weit von hier ist. Diese Warte nebst ihrem unten liegenden Hügel wird außerordentlich besucht, und alle rüstigeren Spaziergänger des großen Gartens versäumen nicht, dieses nette Rund hinanzuklettern. Auch hier ist unten ein Kaffehaus und ein Restaurateur, der den Matten und Hungrigen gern seine Waare hinaufschleppt. Man nennt ihn wegen der vielen Hühner, die er hält, den Eierrestaurateur, und seine Wohnung ist eben so dicht mit Eierschaalen umworfen, als die des Fischers mit Schuppen und Floßen. Weiter hinabwärts nahe bei der Elefantenwohnung findet man das schöne anatomische Theater, ein Pantheon, das bis auf den heutigen Tag noch keinen Unsterblichen gemacht hat.“

Ernst Moritz Arndt, Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreiches 1798 und 1799, Bd. 3, Leipzig 1804, 177f; 179.
Kommentar
Ernst Moritz Arndt beschreibt den Jardin des Plantes als für ihn selbst sehr bedeutende Rückzugsmöglichkeit. Er hebt die doppelte Funktion des botanischen Gartens – als wissenschaftliche Einrichtung wie als Spaziermöglichkeit – heraus und verweist eingehend auf die wohlüberlegte Gestaltung und Pflanzung der Anlage. Besonders richtet er sein Augenmerk jedoch auf das dortige Belvedere, das ihm eine herausstechende Rückzugserfahrung bietet: Obwohl er sich theoretisch mitten im Stadtgebiet befindet, fühlt er sich „einsam und selig in der getümmelvollen Stadt“.
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