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Quellensammlung

Rückzugsräume – Heterotopien der Muße

Arndt: Allgemeine Beschreibung der öffentlichen Gärten

„Die öffentlichen Gärten mit ihrem Leben und ihren Anhängseln sind ein zu wichtiger Zweig der allgemeinen Vergnügungen, als daß ich mich darüber nicht noch besonders verbreiten sollte. Ich habe zwar schon von einigen Gärten geredet; aber sie sind ganz anders, als diese, und meistens nur als andere öffentliche Plätze und Promenaden anzusehen. Sie sind nie ganz leer von Menschen, weil jeder in ihnen aus- und eingehen kann; diese aber werden seltener nur zu einem Frühstücke, oder zu einer verstohlnen Liebespartie, immer aber gegen die Abendzeit gefüllt. Was ist auch wohl süßer nach einem heißen und arbeitvollen Tage, als sich aus dem Brande, dem Dampf und Staub der Gassen in einen etwas freieren und kühleren Raum, unter Bäume und Lauben und unter Menschen zu retten, die von demselben Bedürfnisse zusammengetrieben sind? Hier, wo alles nur Freude und Luft und Liebe athmet, wo alles unter der gefälligsten Larve und in dem glänzendsten und schimmerndsten Aeussern erscheint, werfen sich die Ketten des zwingenden und mühseligen Lebens auf einige Stunden so leicht ab, oder liegen doch sanfter um die Brust. Es ist eine eigne ganz lobenswürdige Einrichtung mit den meisten dieser Gärten, die doch zum Theil hindert, daß in ihrem engen Bezirk nicht eine zu große Menschenmasse, und zwar zu gemischte Masse sich eindränge. Es wird nemlich ein bestimmtes Eintrittsgeld bezahlt, das von drei Franken bis auf fünf Sols fällt, je nachdem die Gärten sind, und welches einen ziemlich genauen Gartenmesser enthält. Bei den meisten Gärten empfängt man dafür Billette, und kann diese Billette für Erfrischungen ausgeben, die man drinnen nimmt; aber freilich ist dabei nichts gewonnen.“
[…]
„An diesen Gärten haben die Pariser durch die Revolution außerordentlich gewonnen. Was sonst einige Große ausschließend besaßen, und wozu dem Publikum nur der Zugang offen stand, wenn es ihnen beliebte und bequem war, das alles ist nun gemein und allgemein geworden, und dem Vergnügen aller derer gewidmet, die solche Vergnügungen genießen und bezahlen können. Dies ist mit mehrern der vorzüglichsten, z. B. mit der Bagatelle des Grafen von Artois, zum Theil der Fall. Diese Oeffentlichkeit und Gemeinschaft hat auch eine andere Gemeinschaft zur Folge, die auf die Humanität außerordentlich vortheilhaft wirkt, sie führet zur Menschengemeinschaft und gegenseitigen Ausbildung, und rottet alte elende Vorurtheile des Pinselgeistes und Ahnenstolzes aus, der überall durch wachsende Kultur immer mehr proskribirt werden sollte; sie lehret, daß die Bildung das einzige Maaß ist, was das Zusammenleben und den Umgang der Menschen als Menschen bestimmt; da ist der Bauer nicht von seinem Könige, der unterste Schreiber nicht von seinem Direktor unterschieden, sobald sie gleich gebildet sind – und ich sehe nicht, wie sie es nicht seyn könnten und nicht oft wären. […] O welche Freude gewährt es, z. B. in Tivoli, diese Gemeinschaft der Stände in dem bloßen Menschenverhältnisse zu sehen! welche Wirkungen muß es mit der Zeit auf die Nation haben! Man verwirrt diese schöne Ansicht der edleren Geselligkeit gewöhnlich mit dem bürgerlichen Verhältnisse der Subordination, und findet in so einer Gleichmachung zugleich die Gleichmachung und Aufhebung aller Ordnung. Aber wie? die Subordination ist ja ein Ding, die mit Volksfesten und Vergnügungen durchaus nichts zu thun hat. Man ehre und achte sie da, wo sie seyn soll; denn sie ist ein heiliges Ding, und die sie einreißen, lassen Mord und Verbrechen auf eine Nation los, und diese sind die Gleichmacher und Levellers, die man allenthalben, wo sie sich nur aufduken, mit Feuer und Schwert verfolgen muß; denn sie kennen kein Erbarmen, wenn sie siegen.“

Ernst Moritz Arndt, Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreiches 1798 und 1799, Bd. 4, Leipzig 1804, 156–158.
Kommentar
In seinem Reisebericht aus Paris widmet Ernst Moritz Arndt ein äußerst umfangreiches Kapitel den öffentlichen Gärten der Stadt. In der Einleitung zu diesem Abschnitt, der sich sukzessive den einzelnen Einrichtungen widmet, betont er besonders zwei ihrer Eigenschaften. Zum einen verweist er auf die Erholungsfunktion: In den öffentlichen Gärten könne sich die arbeitende Bevölkerung von ihren Strapazen erholen und statt „Dampf und Staub“ vielmehr „Freude und Luft und Liebe“ einatmen. Darüber hinaus bemerkt er, dass die Anlagen gerade in der Nachfolge der Revolution überdies eine weitere Funktion gewonnen hätten. In ihnen zeige sich eine neugewonnene Geselligkeit, die sich durch den Abbau sozialer Unterschiede ausweise. Diese Eigenschaft bindet Arndt schließlich gar explizit an einen imaginierten Nationalcharakter, der seiner Ansicht nach von ihr nur profitieren könne. Gleichwohl schränkt er ein, jenseits der öffentlichen Gärten sei die „Subordination“ sehr wohl ein angebrachtes Mittel, um Recht und Ordnung zu erhalten.
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