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Quellensammlung

Wahrnehmungsformen

London und Paris: Tivoli

„Indessen ist es völlig Nacht geworden, und der Garten hat durch eine prächtige, geschmackvolle Illumination wieder neue Reize erhalten. Die vielen geraden und gekrümmten Alleen sind zu beyden Seiten mit einer guirlandenförmig geordneten Reihe von farbigten gläsernen Lampions behangen, die ein sehr angenehmes Licht verbreiten. In gehörigen Distanzen sind überdies noch prächtige Lustre‘s angebracht, und zu Ende der etwas beträchtlichern Alleen bildet eine schöne etwa acht Schuh hohe Vase, deren Zeichnung aus Illumination en verres de couleur besteht, mehrere hübsche coups d'oeil. Eine Menge Spaziergänger und Spaziergängerinnen bewegen sich indessen langsam, und Arm in Arm durch die verschiedenen Theile des Gartens, um alle diese Herrlichkeiten zu besehen.... Einen sehr schönen Anblick genießt man besonders vor einem, dem Zutritt der Abwesenden verschloßenen Theil des Gartens; es sind hier in einer geraden Reihe hinter einander etwa acht Thüren, in eben so vielen in gewißen Entfernungen von einander stehenden Mauern angebracht. Jede dieser Oefnungen ist mit einer Illumination en verres de couleurs eingefaßt; und im Hintergrunde steht eine auf dieselbe Art beleuchtete Vase; – der Anblick ist sehr täuschend; – man glaubt, in eine Gallerie von der beträchtlichsten Länge hinzusehen. –
Nun bleibt uns aber noch der Italiänische Garten zu durchwandern; wir können durch den langen Bogen jener sehr angenehm illuminirten Laube uns den neuen Vergnügungen nähern, die in den dichten Bosquets und Irrgängen dieses Theils von Tivoli den Anwesenden sich anbieten; vor jener Hütte werden sich bald Zuschauer sammeln, denn Seraphin soll hier mit Ombres, Chinoises regaliren. – Für Liebhaber und Liebhaberinnen des Ringelspiels ist auch gesorgt; – dies scheint überhaupt ein Lieblingsspiel der hiesigen Einwohner, denn an allen öffentlichen Vergnügungsplätzen finden sie es. Statt daß man sonst auf Pferden oder Seeungeheuern sizt, ruht in Tivoli jeder Ringelrenner ganz behaglich in einem gepolsterten Stuhl; diese Bequemlichkeit ist den Frauenzimmern zu lieb angebracht, denn fast immer sind ein oder 2 Plätze von Damen's besetzt. Eine sanfte Musik mit Blasinstrumenten macht in diesen Irrgängen einen guten Effekt.
Unterdessen nähert sich die Zeit des Feuerwerks, wir müßen uns also in die Mitte des Französischen Gartens begeben, denn das Feuerwerk befindet sich in demjenigen Theile desselben, den wir Anfangs nicht durchwanderten, da er aber nichts Besonderes enthält, so mischen wir uns lieber ein wenig unter die lebende Menschenmaße, die sich in den mittlern Alleen theils auf und niederbewegt, teils zu beyden Seiten sitzt […].“

London und Paris, Bd. 1, 1798, 366–368.
Kommentar
In einem Bericht über das Pariser Tivoli stellt Friedrich Theophil Winckler dar, in welcher Weise er und eine imaginierte Begleitfigur die Gartenanlage durchwandern und versuchen, sich einen möglichst umfangreichen Eindruck zu verschaffen. Neben dem wiederholten Verweis auf die durch diverse Illuminationen hervorgerufene ästhetische Wirkung des Ortes sticht vor allem eines heraus: die Bewegung in der Menge. Winckler und die imaginierte Begleitfigur – ein topisches stilistisches Mittel der zeitgenössischen Reise- und Großstadtliteratur – mischen sich unter die zahlreichen Besucherinnen und Besucher und bahnen sich ihren Weg durch Tivoli. Im Zentrum steht somit eine Wahrnehmungsform, die direkt aus dem Geschehen heraus berichtet. Winckler und Begleitung sind nicht etwa mit einer externen Beobachtung befasst, sondern explizit Bestandteil der „lebende[n] Menschenmaße“.
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