Logo Uni Freiburg

Gefördert durch

DFG-LogoMWK-Logo

Quellensammlung

Wahrnehmungsformen

Kotzebue: Pariser Marktszene

Wandeln wir lieber ein wenig auf und ab, um einen flüchtigen Blick auf die mancherlei käuflichen Dinge zu werfen. Da werden wir oft die sonderbarsten Kontraste neben einander finden. Hier bietet man Ihnen Körbe voll junger Hunde von allerlei Gattung, dort das Portrait des Herrn Jesus Christus, welches in nichts weiter besteht, als in einem Blatt Papier, auf welchem die bekannte untergeschobene Stelle aus dem Josephus abgedruckt worden, die eine Beschreibung von Christus Gestalt enthält.
Diese kleine wandelnde Bude, mit der großen Mannigfaltigkeit von Waaren, verkauft alles Stück vor Stück für 18 Sous, jene für 25. Sie finden wirklich Dinge darunter, von denen man nicht begreift, wie sie um einen so geringen Preis losgeschlagen werden können. – Daneben liegt auf einem ausgebreiteten Tuche, ein großer Berg von Broschüren aller Art. „Kaufen Sie, meine Herren! schreit „der Eigenthümer, Sie haben das Aussuchen! „Stück vor Stück 6 Sous.“ – Ein anderer Brodneider sucht ihm den Handel zu verderben, und bietet seinen ähnlichen Haufen stückweise für 4 Sous. Freilich sind es meistens nur kraftlose Romane, aber ich habe oft auch gute Sachen darunter gefunden, z. B. einzelne Theile von Briefen der Madame de Sevigné u. s. w. Ich fand sie auf den zweiten oder dritten Griff. Wenn man sich Zeit nähme und die Mühe gäbe, den ganzen Haufen zu durchwühlen, so würde man gewiß für wenige Livres eine artige Sammlung sich herausklauben können. – Bequemer aufgestellt, aber auch theurer, (obgleich immer noch spott wohlfeil) sind die alten Bücher auf dem Geländer des pont neuf und mehreren Quays: nach den meist schönen Bänden zu schließen, Ueberreste zerstörter Bibliotheken. Hier findet man oft die kostbarsten Werke, vollständig und trefflich konditionirt, um äußerst mäßige Preise.
[…]
Ha! wie lebhaft ist dieser Weg an der Seine herunter. Linker Hand die schöne Häuser-Reihe, wo Bude an Bude grenzt, wo die Waaren aller Welttheile, ja sogar die Waaren anderer Welten zur Schau gestellt sind, (denn auch die famösen Mondsteine kann man irgendwo kaufen); dann das bunte Menschengewimmel auf der Straße, und die Fiakers, und die verdammten Cabriolets, vor denen wir hier in Sicherheit sind. Und nun werfen Sie ihre Blicke rechts hinab auf den Fluß. Alle Wäscherinnen des Erdbodens scheinen sich hier versammelt zu haben. Auf langen, durch ein Dach bedeckten Böten stehn sie in langen Reihen, und schlagen unbarmherzig die einzelnen Stücke, die sie nachher zu Wäschbergen aufschichten. Hoch schwingen sie die dicken fleischigten Arme, gewaltig schlagen sie drauf los, und dennoch hört man wenig von ihren Keulenschlägen, weil die liebliche Rede ihres Mundes das Getöse verschlingt.

August von Kotzebue, Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804, 2., unver. Aufl., Berlin 1804, 93f; 100f.
Kommentar
Mit den diversen Pariser Marktszenen demonstriert Kotzebue seine eigene Poetik der Großstadtbeschreibung: Er möchte mittels einer spazierenden, kontingent-zufälligen Wahrnehmung dem Pariser Wesen auf den Grund gehen und identifiziert dabei allerhand urbane Schauspiele. Der populäre Bühnenautor greift diese auf, um literarisch diverse Szenen zu dramatisieren und darzustellen. Im Unterschied zu den anderen Reise- und Korrespondentenberichten fällt auf, dass Kotzebue weitgehend auf die Nennung konkreter Orte verzichtet und auf diese Weise den verallgemeinerten Charakter des Beobachteten herausstreicht.
© 2020 Universität Freiburg