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Quellensammlung

Bilder einer Großstadt: Tableau und Panorama

London und Paris: Bakerstreet/Portmansquare

„Alles das denke ich mir stillstehend in der Straße und hinabschauend wie die prachtvollen Säle nach und nach erleuchtet werden, wie man die Lampen an hervorgestreckten Armen der theuren Eisengeländer anzündet, und wie die köstlichen Wagen häufig hergerollt kommen, um theils die geladenen Gäste herbeizuführen, theils die erst von der Morgenfahrt zurückkommenden Damen der Zofe in die Hände zu liefern. Was für Wagen! wie viele! wie die Leute alle so blühend, so schön darinn sind! und wie wohlgenährt sind die Bedienten! was für Guineen gehören nur zum Staate eines solchen Hauses! Und in dieser langen Straße, die wenigstens an vierhundert Häuser hat, lebt man überall so! Und wie viel solcher Straßen giebt es nicht hier in London!
Horch! wie die Wagen überall in den ferneren Gassen rollen! Das sind alles reiche Leute! Die Pferde, die schlanken schönen Pferde fliegen über das Pflaster und schlagen Funken! Am Ende dieser Straße, wo die beiden Häuserreihen so eng zusammenlaufen, wie ich sie in meiner Jugend blos in den Guckekasten erstaunt ansah, öffnet sich ein majestätischer Platz, ein Sqare von vielen hundert Lampen erleuchtet. Das alles ist so groß, so hebend! Unzähligemal habe ich das schon gesehen, aber immer fällt es mir wieder mächtig ins Auge! Es ist mir, als ob aller dieser Reichthum mein wäre.
In dem Auge meiner Seele sehe ich die Herrschaften dieser Straße mit einemmale tafeln. Was für Pracht da herrschen mag! Ja wahrlich, für das bloße Silberzeug könnte man eine kleine deutsche Stadt kaufen! Aber hier kann ich doch den ganzen Abend nicht stehen bleiben! – Wie die Handglocken der Briefsammler in der weiten Straße hallen! Auch dies erinnert mich an den oft gehabten Gedanken, daß London das berüchtigte Utopien ist, wo man nur nach den gebratenen Rebhühnern schnappen darf.“

London und Paris, Bd. 6, 1800, 122–124.
Kommentar
Die Beschreibung der belebten und prachtvollen Bakerstreet stellt für den London-Korrespondenten Johann Christian Hüttner geradezu die urbane Quintessenz dar. Aus einer ruhend-panoramatischen und erhöhten Position heraus nimmt er das Geschehen in den Blick und hebt dabei insbesondere die adlige Kultur Londons hervor. In bemerkenswerter Weise verschränken sich dabei äußere und imaginäre Wahrnehmung. Das fast utopische Bild der Großstadt entsteht für den Korrespondenten nicht allein in der Beobachtung der aufeinanderfolgenden Szenen, sondern überdies vor seinem geistigen Auge.
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