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Quellensammlung

Bilder einer Großstadt: Tableau und Panorama

Rebmann: Palais Égalité/Palais Royal

„Mein erster Weg war in den ehemaligen Palais Royal oder nunmehrigen Gleichheitspalast, diese Stadt im kleinen, deren ehemaligen Zustand und Geschichte Sie in Schulzens Buch „Über Paris und die Pariser“ besser beschrieben gelesen haben, als ich Ihnen zu schildern imstande sein würde. Ich begnüge mich auch also damit, Ihnen ein Gemälde der jetzigen Welt zu geben, welche man in diesem Palais antrifft.
Sie wissen, daß es aus zwei Seitenflügeln und zwei Höfen besteht, welche zusammen ein längliches Viereck bilden. Die Außenseite ist ganz und gar verbaut, so daß man sich nichts weniger hier verborgen denkt als ein so großes und prächtiges Gebäude. Diese Seitenflügel enthalten eine vierfache Reihe von Kaufmannsgewölben, die alles darbieten, was auch der ausschweifendste Luxus verlangen kann. Wer nackt und bloß, nur mit guten Louisdors versehen, in den Gleichheitspalast einträte, könnte in weniger als einer Stunde mit allem versehen sein, was zum Überfluß und zum wollüstigsten Genusse des Lebens von den erfahrensten Schwelgern gerechnet werden mag. Die obern Stockwerke sind teils von Restaurateurs, teils von Freudenmädchen bewohnt, welche seit Robespierrens Sturz ihre Geschäfte wieder so öffentlich und ungehindert treiben als unter der alten Regierung.
Diese kleinen, allgemein bekannten Notizen mußte ich Ihnen hier ins Gedächtnis zurückbringen, um Ihnen ein Gemälde des Gleichheitspalasts in seiner jetzigen Beschaffenheit liefern zu können. Mit Tagesanbruch wird die Welt hier lebendig. Die Gewölbe öffnen sich, und es erscheinen Käufer und Verkäufer und Leute, welche in den vielen Coffeehäusern frühstücken. Hier werden dann die ehrlichen Geschäfte gemacht und über Politik gekannengießert. Freudenmädchen und Agioteurs schlafen noch. Aber schon um zehn Uhr morgens ist die Szene ganz verändert. Die Stille hat dem Geräusch und der ehrliche Mann den Spitzbuben Platz gemacht. Sie treffen nun schon den ganzen Garten oder vielmehr Hof des Palastes mit Gruppen angefüllt, die teils über die Regierung schimpfen, teils aber agiotieren. Überall stehn mehr als fünf- bis sechshundert Menschen zusammen, die Mandate feilbieten oder einhandeln. Bei jedem Schritte begegnet Ihnen jemand, der Ihnen entweder große Ballen Mandate vor die Augen hält oder mit Laubtalern klappert und fragt: „En vendez-vous?“ oder: „En achetez-vous?“
[…]
Verlassen Sie den Garten, um unter die Arkaden zu treten, so fällt Ihnen wieder ein Schauspiel andrer Art in die Augen. Hundert Schreier bieten hier Broschüren des Tages und Journale feil, deren Inhaltsanzeige sie laut herlesen, immer von einer Gruppe umrungen, welche die Vorlesung mit einer kleinen Kritik begleitet. Sie können leicht denken, daß jeder Journalist diese Anzeigen so auffallend zu machen sucht, als es immer möglich ist. Sie hören daher rufen: „Détail de la mort de Drouet“ etc., und wenn Sie das Blatt kaufen, so finden Sie statt des versprochenen Details weiter nichts als die wenigen Worte: „Le bruit court, que Drouet a été trouvé parmi les morts au camp de Grenelle.“ Es ist unglaublich, mit welcher Industrie man hier auf Neuigkeiten spekuliert. Kaum ist die Sitzung der beiden Räte geendigt, als sie schon im Palais in Vaudeville verkauft wird.“

Georg Friedrich Rebmann, „Holland und Frankreich, in Briefen geschrieben auf einer Reise von der Niederelbe nach Paris im Jahr 1796 und dem fünften der französischen Republik“, in: Werke und Briefe, Bd. 2, hg. v. Wolfgang Ritschel, Berlin 1990, 169–385, hier 270–272.
Kommentar
Wie viele seiner reisenden Zeitgenossinnen und Zeitgenossen nimmt auch Georg Friedrich Rebmann das Palais Royal (während der Revolution in Palais Égalité umbenannt) als einen der wichtigsten Pariser Versammlungsorte besonders in Augenschein. Sein erster Weg in der Metropole führt ihn – getreu den zeitgenössischen apodemischen Vorgaben, zunächst die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in einer großen Stadt zu inspizieren – damit direkt in das Zentrum urbaner Lebenskultur. Er liefert, eng orientiert an der Großstadtpoetik Merciers und seines Tableau, einen überblickhaften Eindruck der Einrichtung, unterfüttert diesen aber bisweilen durch szenische Einschübe.
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