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Quellensammlung

Transgressionserfahrungen

London und Paris: Friedensfeierlichkeiten auf der Westminsterbrücke

„London ist zu jeder Zeit auch für den alten Bewohner ein anziehender Ort, aber bei einer solchen Gelegenheit wird er es vorzüglich. Eine so ungeheure Menge Menschen von Freude ergriffen, gebiert Erscheinungen, die sich sonst nicht sehen lassen. Man wußte schon früh um 8 Uhr, daß die Ratifikation in England eingetroffen wäre, und um Mittag London erreichen würde; daher warteten große Haufen von Menschen an der Westminsterbrücke. Die Pferde der Kutsche des Gesandten so wie die Kutschen waren mit blauen Schleifen geschmückt, und auf dem Wagen sah man mehrermal das Wort Friede in großer Schrift. Das Hurrah- und Hussah-Rufen des Volks empfieng ihn und pflanzte sich wie ein Lauffeuer in die Straße, durch welche er nach dem Hause des französischen Agenten fuhr. Auf den Londner Gassen giebt es immer so viel müßige Leute, daß jeder kleine Kreis in kurzer Zeit bis zum undurchdringlichen Haufen anschwillt. Diesesmal strömten auch die Menschen aus den Häusern herzu, und wer von dem wüthenden Heere gehört hat, der besitzt ein treffendes Bild von dem Auflaufe. Selbst in den entfernten Theilen der Stadt hörte man das unbändige Jauchzen und lief herbey.“

London und Paris, Bd. 8, 1801, 111f.
Kommentar
Mit seinem Bericht nimmt Johann Christian Hüttner Bezug auf den 1801 geschlossenen Frieden von Lunéville, der den Zweiten Koalitionskrieg beendete. Er steht damit im Kontext mehrerer solcher Berichte, die wenig später auch auf den 1802 geschlossenen Frieden von Amiens zwischen Großbritannien und Frankreich verweisen. Für den Korrespondenten sind indes weniger die politischen und historischen Implikationen von Interesse, sondern vielmehr die aus dem Friedensschluss folgenden Konsequenzen für das Stadtbild. Er beschreibt, inwiefern sich die urbane Öffentlichkeit durch die Bekanntmachung ändert und sich für den Beobachter neue Wahrnehmungspotenziale eröffnen. Die bisweilen chaotischen Menschenmassen gebären „Erscheinungen, die sich sonst nicht sehen lassen“.
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