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Quellensammlung

Gesellige Formen der Muße

London und Paris: Prater

„,Es giebt nur einen Prater!ʼ sagt der Wiener, und mehrere Reisende, die Gelegenheit hatten, die Gärten und Spaziergänge in der Nachbarschaft der ersten europäischen Hauptstädte zu besuchen, stimmen darin überein, daß weder der Prado bei Madrid, noch die Champs Elisées bei Paris, noch der Hydepark bei London sich mit dieser einzig schönen Promenade bei Wien vergleichen können. Und doch ist der Ort, seiner natürlichen Anlage nach, so schmucklos, daß man es nicht für schwer halten sollte, überall etwas Aehnliches, wenn nicht etwas Besseres zu finden. Man denke sich eine einfache große Wiese, mit einem lichten, mit Alleen nach verschiedenen Richtungen durchschnittenen, Eichenwald besetzt, und man hat eine vollständige Idee von dem, was Natur und etwas Kunst für den Prater gethan haben. Zwar giebt es einige Partieen am Ufer der Donau, die ein mehr romantisches Ansehen haben, doch diese sind einsam und verlassen, und von den wenigsten gekannt. Aber man besucht den Prater auch nicht, um der süßen Schwärmerei nachzuhängen, wozu die englischen Gärten einladen. Man will hier unter freiem Himmel, im Schatten schöner Bäume, am fröhlichen Menschengewühl sich ergötzen. Man denke sich also an jenen Alleen einige hundert niedliche Hütten, in welchen Erfrischungen aller Art für alle Stände zu haben sind; hier Ringelspiele oder Caroussels, die durch das Geräusch einer lärmenden Janitschaarenmusik belebt werden, – Schaukeln, Kegelbahnen und dergleichen; dort geschmackvoll verzierte Kaffeehäuser, und vor denselben eine sechsfache Reihe von Stühlen, auf welchen sich Tausende geputzter Damen und eleganter Herren lagern, in deren Mitte sich alle zwei bis dreihundert Schritte eine liebliche Harmonie von Blasinstrumenten hören läßt; man denke sich ein frohes, festlich geschmücktes Gedränge von Menschen, die sich in einer breiten und unübersehbaren Allee hin und her bewegen, dann in einer andern daran stoßenden Allee eine Reihe von fünf- bis sechshundert Kutschen, in denen die Reicheren in eleganten Faetons und die Aermeren in schmutzigen Fiackern einher stolziren; man suche hier nichts als Fröhlichkeit, Luxus, oft ohne Zierde, schöne Gesichter und das bunteste Gemisch von Ständen, Nationen, Trachten, – Prinzen, Grafen, Jesuiten, Schreiber, Doctoren, Damen mit Brillanten und Perlen, oder mit reizenden, gefälligen Augen, Griechen, Türken, Ungarn, Juden, Christen, Alles durch einander, in schönen oder bizarren Gruppen vertheilt, oder in einen unzählbaren Haufen zusammengedrängt; man denke sich so zwanzigtausend Menschen auf dieser Wiese, unter diesen Bäumen mit nichts als mit ihrem Vergnügen beschäftigt, und man wird gestehen, daß eine solche Promenade einen unaussprechlichen Reiz für jeden, für lebendige Freuden gestimmten Sinn haben müsse.
Es ist begreiflich, daß ein solcher Belustigungsort, der durch die täglich sich neugestaltenden Menschengruppen ein immer verändertes Schauspiel darbietet, von den Bewohnern Wiens fleißig besucht wird. Es gehört auch zum guten Ton, in der schönen Jahreszeit den Prater wenigstens einmal des Tages zu sehen; selbst im Winter, wenn die Witterung es nur einigermaßen erlaubt, muß eine Dame, die ihr Leben genießen will, um die Mittagsstunde in den Prater fahren, und vom Wagen aus Menschen sehen, und sich von ihnen besehen lassen. Wen man dort gesehen, wie diese oder jene Dame gekleidet gewesen, in welcher Equipage man sie bemerkte, ob noch in jener des Grafen X, oder schon in dem Faeton des Fürsten Y, – das giebt Stoff zu vertrauten Gesprächen, wobei die Zeit angenehm vergeht.“

London und Paris, Bd. 26, 1811, 169–171.
Kommentar
Ab 1811 nahmen die Herausgeber von London und Paris angesichts der napoleonischen Kontinentalsperre auch Wien in ihr journalistisches Programm auf. In einem noch im selben Jahr erscheinenden Beitrag beschreibt ein mit ‚Z.‘ signierender Korrespondent einen der wichtigsten Wiener Versammlungsorte – den seit 1766 für die Öffentlichkeit freigegebenen Prater, der noch heute das Bild der österreichischen Hauptstadt prägt. Der Korrespondent ist voll des Lobes für den Ort und erklärt ihn zu einem unvergleichlichen Prachtstück europäischer Gärten und Promenaden. Besonders deutlich wird in seiner Darstellung zudem die Spannung zwischen gesellschaftlicher Funktionalisierung und der eigenen Beobachtung. Während er beschreibt, wie die anwesenden Akteurinnen und Akteure ihre soziale Rolle darstellen, wird er selbst nicht müde, sich am dazugehörigen Schauspiel zu ergötzen.
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