Logo Uni Freiburg

Gefördert durch

DFG-LogoMWK-Logo

Quellensammlung

Gesellige Formen der Muße

Pückler-Muskau: Adlige Festkultur

21. Brief, den 6ten [Januar 1828]

„Wir schweben in fortwährenden Festen. Gestern gab die schöne Marquise das ihrige, heute die gefeierte Fürstin L…, welches bis nach 6 Uhr früh dauerte. Von Morgen bis Abend bemüht man sich unablässig, den Prinzen zu amüsieren, und es ist wohl angenehm, eine so bevorrechtete Person zu sein, die zu unterhalten und ihr zu gefallen die Höchsten wie die Niedrigsten, die Klügsten wie die Dümmsten ihr möglichstes tun.
Mitten unter diesem trouble erhielt ich wieder einen Brief von Dir durch L…, und freute mich der darin enthaltenen hunderttausendsten Versicherung Deiner Liebe, einer Versicherung, die ich vor der ersten Million gewiß nicht zu hören müde werde, und nach dieser Million sogar noch ausrufen werde: L’appétit vient en mangeant! So geht es auch mit den hiesigen Festen, d.h. die Welt wird ihrer nicht müde. Während sie immer mehr ihren Horizont sich mit Gewittern überziehen sieht, tanzen und dinieren unsere Diplomaten dem drohenden Sturm mit Lachen und Scherzen entgegen, und Großes und Erhabenes mischt sich fortwährend mit Gemeinem und Alltäglichem wie in Shakespeares lebenswahren Tragödien.“

Hermann Fürst von Pückler-Muskau, Briefe eines Verstorbenen, hg. v. Heinz Ohff, Berlin 1986, 799.
Kommentar
Mit seiner Skizze der adligen Londoner Festkultur stellt Pückler eine weitere Dimension des stereotypen Tagesablaufs dar: Die „fortwährenden Feste“ der Londoner Aristokratie entwickeln scheinbar eine solche Eigendynamik, der sich kein Angehöriger dieser sozialen Schicht entziehen kann. Pücklers Urteil gegenüber diesen Aktivitäten ist freilich eindeutig: Dem durch die zahlreichen Feste ausgelösten „trouble“ möchte er am liebsten entfliehen. Verwirklichen lässt sich dies für ihn in den Briefen, die er von seiner (zum Schein von ihm geschiedenen) Frau Lucie erhält.
© 2020 Universität Freiburg