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Quellensammlung

Gesellige Formen der Muße

Arndt: Champs-Élysées

„Noch größer ist aber an guten Tagen drinnen und draußen das Gewimmel der ehrlichen Bürger, die aus- und eingehen, und wächst noch, wann die Schatten der Bäume dunkler werden, und die Luft im Freien mit allen ihren Spielen aufhört. Dann sind hier alle Gärten und Zimmer und Tische und Stühle gedrängt voll. Man sieht alles im Taumel und Getümmel, aber doch selten stört ein Gezänk, oder eine Unanständigkeit die Gesellschaft. Die Tische drinnen sind bis eilf, zwölf Uhr Nachts fast immer von denen belagert, die essen wollen, und der Herd der Küchen wird erst mit dem Morgen kalt. Man ist freilich artig, aber man genirt sich nicht. Der eine spaziert im Garten, oder draußen unter den Bäumen, und sucht sich ein Weibergesicht, mit dem es sich gut schwatzen und nachher vielleicht noch etwas anders thun läßt, der andre macht sich hin und ergötzt sich an den Tanzenden und an ihren verstohlnen Liebäugeleien. Diesem gefällt es zu trinken, jenem zu rauchen, einem dritten zu zechen; froh zu seyn, zu lachen und zu schwatzen, gefällt allen, wo nicht ein Griesgram ist, der einzig hingeht, um den Belauscher und Belaurer unter ihnen zu machen. Bei diesem Gedränge von Menschen, bei den mancherlei Leidenschaften und Begierden, die hier rege sind, bei den vielen Hülfsmitteln, seinen Verstand und sein Herz toll zu machen, verliert sich der Franzose nicht leicht, und bleibt äußerlich weit mehr seiner Herr, als ein Teutscher. Keiner belästigt den andern Nachbar mit seinen Herzensergießungen, seinen Grillen und witzigen Einfällen, keiner mit seiner Empfindelei und Kräkelei und Freundschaft, und Feindschaft, wenn der Wein und die Nacht sein Herz und seine Zunge gelöst hat. Selbst in diesen ungefären Haufen bringt die Ordnung ihr heiliges Leben, wie sie Harmonie in den Tanz des Gesindels bringt. Armes Gesindel, ach! was hast du oft auf der Welt, als einen lustigen Sprung, weil du jung bist!“

Ernst Moritz Arndt, Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreiches 1798 und 1799, Bd. 4, Leipzig 1804, 117f.
Kommentar
Obwohl die berühmten Champs-Élysées um 1800 noch jenseits der Pariser Innenstadt lagen, waren sie bereits einer der wichtigsten Versammlungsorte für die dortige Bevölkerung. Unweit des Boulevards fand sich im direkten Anschluss an den Tuileriengarten somit ein weiteres Areal, das die Bürgerinnen und Bürger geflissentlich als geselligen Rückzugsort nutzten. Folgerichtig nimmt auch Ernst Moritz Arndt die elysäischen Felder in seiner umfangreichen Analyse der Pariser Gartenanlagen in den Blick und arbeitet ihre besonderen Qualitäten heraus. In seiner Darstellung hebt er vorrangig auf die freiheitlichen Möglichkeiten der Akteurinnen und Akteure ab: Obwohl sich die Menschenmassen auch hier kaum zählen ließen, sei die Stimmung sehr gelöst, sodass jede und jeder ihrem oder seinem Gusto folgen könne.
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