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Quellensammlung

Gesellige Formen der Muße

Arndt: Tivoli

„Ich war froh, daß es vorbei war, denn das Spazieren in den schönen Alleen begann, ein Schauspiel, das man einige Male wenigstens allem andern vorzieht. Hier unter den dunkeln Bäumen, im Schimmer von tausend Lampen und tausend Sternen, schlägt jedes jugendliche Herz feuriger, flammt jedes verzehrende Auge gefährlicher, und strahlt jede blühende Wange schöner. Was von Jugend hieher geht, kleidet und schmückt sich auf das geschmackvollste und prächtigste, will erobern und gefallen. Und wahrlich, hat je eine Schönheit einen öffentlichen Triumph gehabt, so kann sie ihn hier haben. Auch unterlassen die ersten Weiber von Paris nicht gern, diese Huldigung einzunehmen. Die Schönste ist hier die Göttin. Diese reitzbarste Nation kann gar nicht zurückhalten, ihre Gefühle laut werden zu lassen, wenn sie von einer so empfindlichen Seite angegriffen werden. Tritt eine solche einher, so hört man mehr als halblaut: Wie sie schön ist! Ach! sie ist schön, wie ein Engel! Alle Füße folgen ihr, alle Blicke fliegen ihr nach, alle weiblichen Gesichter werden mit dem Gifte des Aergers und Ingrimms übergossen. Selten indessen geschieht es, daß man sich so weit vergißt, als bei Gelegenheit des Aufflugs des Luftschiffers Garnerin mit der gepriesenen Madame Recamier geschah, wie ich oben erwähnt habe. Hier ist auch ein ewiges Buhlen um Beifall und Liebe, alle Lüsternen und Koketten beider Geschlechter spannen hier ihre Netze aus; wo so viele Fische sind, ist es nicht schwer, einen zu fangen. Jetzt kann man hier auch manche Teutsche, Italiänerinnen, und selbst einige Griechinnen sehen. Neulich hatte die berühmte Madame Stael sich darüber aufgehalten und geäußert, es scheine, als wolle man in Tivoli eine Sammlung aller Farben anlegen, bald würden ja hoffentlich auch Afrikanerinnen und Aegypterinnen hinzukommen. Sie, die eben so witzig und boshaft, als häßlich, und von den Jahren und Freuden mitgenommen ist, hatte dies nicht ohne Beziehung, und zwar besonders gesagt, um einer reitzenden Griechin, der Gemahlin eines französischen Generals, wehe zu thun. Bald bezog man ein boshaftes und schmutziges Kouplet auf sie, welches vermuthlich ein Anbeter der schönen Griechin mit mehr Haß, als Witz gemacht hatte. Hier ist es:

Venés belles femmes de toutes le couleurs,
Venés embellir nos jardins.
Que cette vieille du diable ne Vous fasse peur!
Elle ne fait plus de ch… et p….

Aber von diesen Farben nicht mehr zu sagen, so ist hier eine andere Farbengemeinschaft und Vermischung, welche der Zeit, worin wir leben, Ehre macht, und einer der schöneren Ausflüsse der Revolution ist. Zwar es ist süß, die Schönheit und die Jugend zu bewundern, und alles, wodurch Bildung und Geschmack die menschlichen Genüsse veredeln, aber größer dem Herzen ist eine gute That, als ein liebliches Gesichte, und schön handeln ist mehr werth, als schön scheinen. Wer hätte es vor zehn Jahren geglaubt, daß Mohren und Mulatten einst in Tivoli und Elisée mit den übrigen Menschen auf einem gleichen Fuße einhergehen würden, daß die schönste Weiße nicht mehr erröthen würde, einem Schwarzen, der nie erröthen kann, zur Seite zu gehen; daß eine verbrannte Hand es wagen durfte, im Tanze seine Hand um den weißesten und zartesten Leib in Paris zu schlagen? O, laß auch viel Schlimmes und Scheußliches das letzte Jahrzehend des verflossenen Jahrhunderts geschändet haben, doch sage ich mit unserm großen Barden Klopstock: Jahrhundert, wie fliegst du empor auf Adlersflügeln der Bildung! Welche Humanität! ich sage es mit Ehrfurcht gegen die Nation – welche Humanität regiert so einen gemischten Haufen, daß nichts Unsittliches, nichts Grobes offenbar zu erscheinen wagt! Kreolen, Mulatten, Negern, Mestizen, Teutsche, Russen, Engländer, Spanier, und wie die Europäer alle heißen, die ihr Mekka einmal im Leben gern wollen gesehen haben, gehen hier in Eintracht und gleicher Achtung unter den Eingebohrnen, alle als Brüder, alle als Ein Volk. Mit diesen Gefühlen im Herzen ging ich aus dem schönen Gewimmel heraus, um von der buschigen Anhöhe hinten im Garten hinaus ins freiere Blau und zum gestirnten Himmel zu sehen. Aber meine Ankunft jagte ein Paar durch die Büsche, welches der Einsamkeit vielleicht nöthiger hatte, als ich. Ich hatte auch so keine Ruhe, denn andere kamen vielleicht mit denselben, oder noch mit dringenderen Bedürfnissen. Ich machte also Platz, um in eines der Häuschen zu gehen, wo Erfrischungen genommen werden, und auch dort die verschiedenen Vereinzelungen und Gruppen zu beobachten. Süßer war es nachher noch, in den Alleen auf- und abzugehen. Die meisten Spazierenden, besonders die Schönen, hatten sich unter den Bäumen in den Ruhestand der Sessel, oder vielmehr auf den Triumphwagen der Schönheit gesetzt, denn wann ist ein schönes Weib reizender, als wenn sie nach einer kleinen Erhitzung sich in einer nachläßigen und schmachtenden Stellung mehr hingißt, als hinsetzt? Rasch, wie es kam, fängt alles nun auch an zu verschwinden. Einige der Feinsten beginnen, und alles Bessere strömt nach; um halb zwölf Uhr findest du von drei, viertausenden auch nicht einen einzigen, er sei denn für einen gewissen Behuf, oder wegen eines plötzlichen Uebelbefindens, in dem großen Hause zu Nacht geblieben.“

Ernst Moritz Arndt, Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreiches 1798 und 1799, Bd. 4, Leipzig 1804, 162–165.
Kommentar
Ernst Moritz Arndt betont vor allem, welchen Genuss ein fremder Beobachter im Tivoli, einer weiteren der wichtigsten Pariser Gartenanlagen um 1800, erleben könne. Gerade die Beobachtung der spazierenden Anwesenden ist ihm dabei eine besondere Freude. Auch wenn in seiner Beschreibung unübersehbar bleibt, dass es sich für die Bewohnerinnen und Bewohner selbst um eine gesellschaftlich funktionalisierte Praktik handelt – für Arndt stellt die Wahrnehmung dieses Schauspiels ein ganz besonderes Erlebnis dar. Seine Beobachtungen führen ihn schließlich sogar zu einem politischen Fazit: Im Spaziergang durch den Tivoli würden die ansonsten trennenden nationalen Grenzen negiert und stattdessen eine humanitäre Eintracht dominieren – für den ansonsten gegenüber Menschenmengen skeptischen Arndt sogar Anlass, von einem „schönen Gewimmel“ zu sprechen.
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