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Quellensammlung

Gesellige Formen der Muße

London und Paris: Pariser Karneval

„Die Polizei ist überhaupt an diesen Tagen sehr nachsichtig, und die gute Ordnung, welche bei solchen Volksfesten herrscht, sehr bewundernswürdig. In allen Hauptstraßen und auf den Boulevards steht Reiterei, welche den Kutschern bedeutet, welchen Weg sie zu fahren haben, so daß eine Reihe Kutschen auf der einen Seite auf, und die andere auf der andern Seite herab fahren muß. Von dieser Regel wird keine Ausnahme gemacht, wes Standes und Würde man auch sey. Dies beugt vieler Gefahr vor, weil diese weise Anordnung die Fußgänger sichert, daß sie nicht überfahren werden können. Dies würde sonst gewiß geschehen, indem die Herrschaften an diesen Tagen ebenfalls ihre Kinder und Mägde spazieren fahren lassen, damit sie die Masken mit ansehen können. Die Menge der neugierigen und gaffenden Pariser, die aus allen Winkeln der Stadt herausschlüpfen, ist so groß, daß man fast ganz Paris in den Straßen zu sehen glaubt. Alle diese Menschen wollen leben, tagtäglich essen und trinken, und doch bringen sie, bei solchen Gelegenheiten, viele Tage mit Nichtsthun zu; ja ich glaube, wenn die Regierung alle vierzehn Tage dergleichen Feste gäbe, so würden doch die Straßen jedesmal gedrückt voll unglücklicher Väter und Mütter seyn, deren Kinder zu Hause nach Brod schreien.
Unter den Charaktermasken zeichneten sich noch besonders die aus, welche die verkehrte Welt vorstellten. Es war eine beißende Satyre auf unsere Zeit; daher sah man sie auch nicht lange in den Straßen. Eine von vier Pferden gezogene Kutsche, in der ungeschliffene freche Bediente saßen, während ihre Herrschaft mit traurigen Gesichtern die Rollen der Bedienten und Kutscher spielten. Das Ganze that eine gute Wirkung, und gefiel, weil es passend war. Der Koloß mit dem Sokrateskopfe, welcher schon im verflossenem Jahre so viel Aufsehen erregt hatte, war auch dieses Jahr, von einer großen Menge Menschen begleitet, in allen Straßen zu sehen. Er konnte sich so groß machen, daß sein Kopf weit über einen Soldaten zu Pferd hinaus ragte.
Ob gleich am letzten Carnevalstage ein großer Theil der Hauptstadt verkleidet war, so sah Ref. doch sehr wenige Masken, die einige Auszeichnung verdienten, daher wollen wir nur noch einige Züge zur Charakteristik dieses leichten Volkes mittheilen.“

London und Paris, Bd. 14, 1804, 223f.
Kommentar
Gerade in der Zeitschrift London und Paris ist die Schilderung des Pariser Karnevals ein über mehrere Ausgaben hinweg prägendes Thema. In einem paradigmatischen Beitrag eines mit ‚F-r, P.‘ signierenden Korrespondenten wird deutlich, was die Beobachterinnen und Beobachter daran besonders reizte. Obwohl der Korrespondent den Karneval als Zeit des nutzlosen Müßiggangs charakterisiert, lobt er insbesondere einige zu beobachtende „Charaktermasken“ sowie einen der zahlreichen Wagen, welche die „verkehrte Welt“ darstellten. Der Bericht steht damit exemplarisch für das, was auch in anderen Karnevalsberichten aus London und Paris prägend ist: Einerseits findet das müßiggängerische Verhalten der Pariserinnen und Pariser eher kritische Bemerkungen, andererseits betonen die Korrespondentinnen und Korrespondenten die zeitlich begrenzten Beobachtungspotenziale.
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