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Quellensammlung

Muße, Müßiggang und Arbeit

Pückler-Muskau: Fürstlicher Tagesablauf in Paris

47. Brief, den 8ten [Januar 1829]

„Des Morgens besehe ich Merkwürdigkeiten, wandle im Museum auf und ab oder gehe „Schopping“ (dies Wort bedeutet in den Buden umherlaufen und Bagatellen kaufen, deren der Luxus in Paris und London fortwährend neue erfindet). Hundert kleine Geschenke habe ich Dir dort bereits gesammelt, so daß mein hiesiges, so wenig geräumiges Logis sie kaum zu fassen imstande ist, und dennoch kaum achtzig Pfund dafür ausgegeben, denn in England ist die Teuerkeit kostbar, hier verführt nur die Wohlfeilheit, und ich muß manchmal lachen, wenn ich sehe, daß ein pfiffiger französischer Kaufmann einen der steifen Insulaner tüchtig angeführt zu haben glaubt, und dieser bloß erstaunt hinausgeht, dieselbe Ware gerade sechsmal wohlfeiler als in London gekauft zu haben.
Mittags fahre ich in der wissenschaftlichen Prüfung des Restaurateurs fort, und abends in der der Theater, obgleich ich weder den Kursus der einen noch der anderen gänzlich zu vollenden Zeit haben werde.
Während dem „Schopping“ bemerkte ich heute im Palais Royal ein Aushängeschild, auf dem die wunderbare Exposition des Todes des Prinzen Poniatowski bei Leipzig angekündigt war. Dergleichen Nationalem gehe ich nicht gern vorüber und stieg daher, das Wunder zu sehen, eine elende dunkle Treppe hinauf, wo ich in einer noch dunkleren Kammer ohne Fenster einen dürftig gekleideten Mann bei einer halb verlöschten Lampe sitzen fand. Ein großer Tisch, der vor ihm stand, wurde von einem schmutzigen Tuch bedeckt. Sobald ich eintrat, eilte er, sogleich noch drei andere Lampen anzustecken, die jedoch nicht recht brennen mochten, worauf er laut und heftig zu deklamieren anfing. Ich glaubte, die Explikation beginne schon, und fragte, da ich nicht recht acht gegeben, was er gesagt habe. „Oh rien!“ war die Antwort, „je parle seulement à mes lampes, qui ne brûlent pas clair.“ Nachdem diese Konversation mit den Lampen endlich ihren Zweck erreicht, wurde das verdeckende Tuch hinweggezogen und ließ nun ein Kunstwerk erblicken, das einer Nürnberger Spielsache mit kleinen beweglichen Figuren glich, durch die Erklärung des Besitzers aber reichlich den Eintrittspreis vergütigte.“

Hermann Fürst von Pückler-Muskau, Briefe eines Verstorbenen, hg. v. Heinz Ohff, Berlin 1986, 365f.
Kommentar
In einer Schilderung seines stereotypen Tagesablaufs beschreibt Hermann Fürst von Pückler-Muskau, wie ambivalent sich die Wahrnehmung seines Pariser Aufenthalts gestaltet. Stellenweise hat es den Anschein, als arte das sich ständig wiederholende Tagesprogramm in eine Art monoton zu absolvierender Akkordarbeit aus, die zwischen Anstrengung und Müßiggang („Schopping“) oszilliert. Erst ein plötzliches Geschehnis – eine unerwartete Schaustellerei – bringt Abwechslung in den ansonsten routiniert ablaufenden Tag. Inspiriert durch ein „Aushängeschild“ betritt er ein kleines Kabinett, in dem es nicht nur zu einer belustigenden Verwechslung kommt, sondern auch zu einem für den Fürsten trefflichen Amüsement.
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