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Quellensammlung

Theatralität des Urbanen

Kotzebue: Spaziergang durch Paris

„Wir sind jetzt in Paris; die Hauptstadt ist gleichsam das Wohnzimmer einer Nation, und wenn es mir also gelingt, Sie mit dem heutigen Paris ein wenig näher bekannt zu machen, so denke ich Ihnen auch die Nation zum Theil geschildert zu haben.
Ich bitte mir Ihren Arm aus! – Wozu? – Um bei dem schönen Herbstwetter einen Spaziergang durch die Straßen von Paris zu machen. Er wird Sie nicht gereuen. Kein Fremder sollte einen solchen Spaziergang versäumen, denn die Quays, Boulevards u. s. w. bieten vom Morgen bis zum Abend das unterhaltendste Schauspiel dar. So oft Zeit und Witterung es mir erlaubten, bin ich zu Fuß herum geschlendert, bin überall stehen geblieben, wo ein Häuflein sich sammelte, habe gesehen, gehört, auch gegafft, wenn Sie wollen, mich treflich amüsirt, und nebenher auch nicht selten ein Körnlein der Erfahrung in mein Gedächtniß niedergelegt. Folgen Sie mir getrost.“

August von Kotzebue, Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804, 2., unver. Aufl., Berlin 1804, 69f.
Kommentar
Im Auftakt zu den „Straßen von Paris, in vier Briefen an eine Dame geschildert“ konturiert August von Kotzebue seine Wahrnehmungsprinzipien. Insofern die äußeren Umstände es ihm erlauben, unternimmt er Spaziergänge durch die Innenstadt, um dort seinen Blick schweifen zu lassen und „unterhaltendste Schauspiele“ aller Art wahrzunehmen. Dieser Vorgang bleibt bei Kotzebue jedoch nicht auf eine rein beobachtende Dimension beschränkt. Er betont vielmehr, aus seinen zweckbefreiten Spaziergängen durch Paris könnten sich kontingent produktive Potenziale ergeben. Sei es ein „trefliches“ Amüsement oder ein „Körnlein der Erfahrung“ – für den Beobachter Kotzebue stehen die Wahrnehmung verschiedener urbaner Szenen und die eigene Reflexion derselben in engstem Zusammenhang.
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