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Quellensammlung

Raumzeitlichkeit urbaner Muße

Goethe: Neapel, den 5. März [1787]: Die Erfahrung des unendlichen Raums beim Flanieren

„[...] Aber weder zu erzählen noch zu beschreiben ist die Herrlichkeit einer Vollmondnacht wie wir sie genossen, durch die Straßen über die Plätze wandelnd, auf der Chiaja, dem unermeßlichen Spaziergang, sodann am Meeres-Ufer hin und wider. Es übernimmt einen wirklich das Gefühl von Unendlichkeit des Raums. So zu träumen ist denn doch der Mühe wert.“

Johann Wolfgang Goethe, Italienische Reise, hg. v. Christoph Michel/Hans-Georg Dewitz, Berlin 2011, 207.
Kommentar
Die Erfahrung eines kulturgeschichtlich synchronisierten Raums in Rom wird am Strand von Neapel durch ein alternatives Raumempfinden ergänzt. Die Raumpraktik des ‚unermeßlichen Spaziergangs‘, des Flanierens, korreliert mit der „Unendlichkeit des Raums“ und evoziert ein gleichsam kosmologisches Gefühl. Im Mikrokosmos des neapolitanischen Meeresufers spiegelt sich der Makrokosmos des Weltalls mit seiner unendlichen Ausdehnung von Zeit und Raum, die das Subjekt dezentriert. Für dieses Empfinden bleibt dem Ich-Erzähler nur die Beschwörung des Unsagbarkeitstopos. Die zeitlich-historische Vertikalität des synchronisierten urbanen Raums in Rom korrespondiert mit der räumlichen Horizontalität der Uferpromenade in Neapel.
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