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Quellensammlung

Raumzeitlichkeit urbaner Muße

Goethe: Rom, Dienstag, den 24. Juli [1787]: Wahrnehmung, Reflexion und Entspannung beim Abendspaziergang

„Nach der Villa Patrizzi, um die Sonne untergehen zu sehen, der frischen Luft zu genießen, meinen Geist recht mit dem Bilde der großen Stadt anzufüllen, durch die langen Linien meinen Gesichtskreis auszuweiten und zu vereinfachen, durch die vielen schönen und mannichfaltigen Gegenstände zu bereichern. Diesen Abend sah ich den Platz der Antoninischen Säule, den Palast Chigi vom Mond erleuchtet, und die Säule, von Alter schwarz, vor dem helleren Nachthimmel, mit einem weißen glänzenden Piedestal. Und wie viel andere unzählige schöne einzelne Gegenstände trifft man auf so einer Promenade an. Aber wie viel dazu gehört sich nur einen geringen Teil von allen diesen zuzueignen! Es gehört ein Menschenleben dazu, ja das Leben vieler Menschen die immer stufenweis von einander lernen.“

Johann Wolfgang Goethe, Italienische Reise, hg. v. Christoph Michel/Hans-Georg Dewitz, Berlin 2011, 398.
Kommentar
Spaziergänge und Promenaden beanspruchen einerseits eine große Aufmerksamkeit der Sinne angesichts dessen, was man alles zu Gesicht bekommt, andererseits dienen sie aber auch der Entspannung. Wie schon in Goethes Frühwerk intensiviert oftmals die Abenddämmerung die Wahrnehmung, die sich zu einem seelischen Gesamteindruck verdichtet. Hier nun, beim Abendspaziergang in Rom, bleibt der Bezug zur Wirklichkeit des Wahrgenommenen erhalten. Auf die betrachteten Objekte fällt nur buchstäblich ein anderes Licht, das auch die eigenen Reflexionen befördert. Entscheidend ist hier aber wohl ein anderes Moment. Im Sommer bietet der Abendspaziergang die einzige Möglichkeit, „der frischen Luft zu genießen“.
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